Wildtiere in den Städten – Dr. Christof Janko und Uwe R. König – Bericht in der Jagdzeitschrift PIRSCH, Ausgabe 21/2015

Immer mehr Wildtiere bevölkern unsere Städte. Der Grat zwischen Faszination und Hysterie ist allerdings ein schmaler.

Die gemeinsame Einschätzung eines Wildbiologen und eines Stadtjägers.

Dr. Christof Janko und Uwe R. König

Fuechse in der Stadt
Fuechse in der Stadt

Seit einigen Jahren mehren sich die Berichte von Fuchs, Marder, Waschbär, Wildschwein, Kaninchen & Co., die mitten unter uns leben. Wirft man einen Blick über die Grenzen, wird klar, dass es sich um ein weltweites Phänomen handelt. In Amerika sind es Schwarzbären, Kojoten, Elche und in Indien Tiger, die näher an uns Menschen heranrücken. Nicht zu vergessen die Affenbanden, die zu Hunderten die indischen Städte besetzen und den Bewohnern das Leben schwermachen. Verursacher dieses Aufschwungs sind vor allem wir selbst! Durch den zunehmenden Siedlungsbau weiten sich Metropolen immer stärker ins Umland aus. Aber auch Kleinstädte und Dörfer drängeln sich in die Landschaft.

Hieraus entsteht zum einen ein Verlust an natürlichen Lebensräumen und somit der dortigen Pflanzen und Tiere. Zum anderen profitieren zahlreiche Tier und Pflanzenarten vom neugeschaffenen Lebensraum Stadt. Gewinner sind Tierarten, die sich besonders gut an die geschaffenen Siedlungsstrukturen und städtischen Lebensbedingungen anpassen können. Fuchs und Steinmarder sind die bekanntesten Untermieter. Stadtgebiete mit locker bebauten Häuserreihen bieten gerade Wildtieren ein hohes Maß an Nahrung und Deckung. Aber nicht nur unsere eigenen Gärten sind sehr beliebt, sondern auch die „Grünen Lungen“ der Städte, wie Parkanlagen, Friedhöfe oder brachliegende Industriegelände.

Ein optimaler Lebensraum ergibt sich auch aus der Vielzahl der leerstehenden Privat-, Firmen- und Bürogrundstücke. Diese innerstädtischen Oasen der Ruhe werden selten durch Menschen aufgesucht, sodass hier die notwendige Ruhe zur Aufzucht gegeben ist. Aus der Liste an tierischen Stadtbewohnern stechen vor allem größere Säugetiere und Vögel hervor. Hierunter fallen häufig Tierarten, die dem Jagdrecht unterstehen, und daher wird oft der Jäger zu Hilfe gerufen, wenn Ärger mit den neuen „Nachbarn“ droht. So unterschiedlich die tierischen Stadtbewohner sein können, so vielschichtig ist auch deren Wahrnehmung durch die Anwohner. Aufgrund von persönlichen Einstellungen, Meinungen, Vorlieben oder auch Ängsten, Emotionen und Wissen ordnet der Bürger die einzelnen Wildarten in „positiv“ und „negativ“ ein – oder er steht ihnen „gleichgültig“ gegenüber.

„Die Liebe zum Fuchs kippt plötzlich in Hassgefühle um, zum Teil mit der Bitte um sofortige Tötung.“

Jeder von uns kennt das selbst, wenn in Gesprächen hitzig über Sauen, Füchse oder Rotwild diskutiert wird. Es prallen eine Vielzahl unterschiedlicher Wahrnehmungen aufeinander. Leben Wildtiere und Menschen in unmittelbarer Nähe zueinander, treten unweigerlich Konflikte auf. Diese reichen von Besorgnis und Verärgerung bis hin zu wirtschaftlichen Schäden und gesundheitlichen Gefährdungen.

Dabei ist der Mensch-Wildtier- Konflikt sehr variabel und vom betroffenen Menschen und der Tierart abhängig. Ein Beispiel: Ein Fuchs schnürt am späten Vormittag über die Terrasse, schaut in die Wohnung und zieht gemächlich wieder davon. Was den einen stört, ist für den anderen noch lange kein Grund, tätig zu werden. Meist muss bei den Betroffenen ein gewisser Leidensdruck entstehen, um aktiv zu werden. Welche Fälle in der Praxis vorkommen und was dahinter steckt, wird nachfolgend beschrieben.

Die Fähe hat sich selbst stranguliert. Sie wird lange gelitten haben.
Die Fähe hat sich selbst stranguliert. Sie wird lange gelitten haben.

Bereits das Erscheinen von Wildtieren, wie beispielsweise Füchsen, die am Tag ohne große Scheu durch die Gärten schnüren, sich am Kompost oder am Katzennapf bedienen, kann bei Bürgern Besorgnis auslösen. Auch nachts ertappte Waschbären oder Wildschweine, die Gelbe Säcke aufreißen, Mülltonnen plündern oder über die Straße schlendern, erzeugen mitunter Ängste. Ist das normal? Ist das Tier krank? Geht für mich oder meine Kinder eine Gefahr aus? Das sind die häufigsten Fragen. Sie zeigen, dass das Wissen über die tierischen Untermieter gering ist, denn deren Verhalten ist heute normal. Die Tiere sind nicht krank.

Was ist für Wildtiere so Attraktiv in den Städten?

Auftreten, Frequenz und Qualität der Nahrung begünstigen die Etablierung urbaner Wildtierpopulationen. Indirekt gefüttert wird durch Mülleimer, weggeworfene Essensreste, Igel- und Vogelfutter sowie Komposte. Der Mensch füttert Wildtiere aber auch aktiv.

Komposte verschließen, Gelbe Säcke hochhängen oder keine Haustiere auf der Terrasse füttern sind Maßnahmen, die den eigenen Garten unattraktiver machen. Doch sie verhindern nicht, dass die Wildtiere da sind. Es gibt aber auch die andere Seite der Wahrnehmung: Menschen, die sich an Wildtieren erfreuen. Das reicht von Gartenvögeln bis hin zu Füchsen und Wildschweinen. Die Aussagen „Ich muss den Tieren doch helfen, denn draußen in der Landschaft finden sie nichts zu fressen“ oder „Die Wildtiere sind hier in die Stadt geflüchtet, weil man ihnen draußen den Lebensraum genommen hat“ sind falsch verstandene Tierliebe. Denn es ist genau umgekehrt. Die Stadt ist für anpassungsfähige Tierarten ein optimaler Lebensraum mit höheren Bestands- und Besatzdichten.

Von Emotionen bis zum blanken Hass

Natürlich bleiben auch die Konflikte zwischen Wild- und Haustieren nicht aus. Dabei können sich die Emotionen hochschaukeln. Während Fuchs und Katze sich meist problemlos aus dem Weg gehen, stellen Hühner, Hasen und Kaninchen klassisches Fuchsfutter dar, wenn die Haustiere nicht sicher weggesperrt werden. Oft muss unmittelbar reagiert werden. In einem Fall aus der Praxis schaffte es der räudekranke Fuchs leider, sämtliche Kaninchen im Freigehege zu töten und teilweise zu fressen. Der Totfund der geliebten Haustiere ist oft eine Tragik für die gesamte Familie. Die Liebe zum Fuchs kippt plötzlich in Hassgefühle, zum Teil mit der Bitte um sofortige Tötung. In solchen Fällen wird das gesamte Repertoire der Feindseligkeit ausgepackt, was von relativ harmlosen Vergrämungsaktionen bis zum Auslegen von Giftködern reichen kann. Eine andere Gefahr stellt die Ansteckung mit Räude dar. Räudeerkrankungen bei Haushunden treten in Städten verstärkt auf, wenn die Fuchspopulation räudebelastet ist. Sie bleibt aber im Verhältnis zu den hohen Hunde- und Fuchsdichten im Bereich einer überschaubaren Anzahl.

Drei an Myxomatose verendete Kaninchen – gefunden in der Nähe des Pausenhofs einer Münchner Grundschule.
Drei an Myxomatose verendete Kaninchen – gefunden in der Nähe des Pausenhofs
einer Münchner Grundschule.

Im Einzelfall ist es für den Hundebesitzer dennoch eine unangenehme Angelegenheit. Weitere Konflikte entstehen, wenn Haushunde in den Gärten oder beim Gassi gehen verendete Wildtiere finden, an diesen schnüffeln oder sich darin wälzen. Wildtiere in den Städten werden oft Opfer des Straßenverkehrs und müssen leiden, da viele Unfälle nicht gemeldet werden. Hinzu kommen Wildkrankheiten wie Staupe oder Myxomatose beim Kaninchen. Totfunde sind in der Praxis häufig. Besonders wichtig wäre eine fachgerechte Entsorgung. Sie darf nicht in der Mülltonne oder hinter der nächsten Hecke erfolgen. Nicht nur der Aspekt, mit kranken Wildtieren in der Stadt konfrontiert zu werden, kann Ängste auslösen, auch die Gewissheit, dass sich mit Einbruch der Nacht der gepflegte Garten zu einem wahren Wildtierparadies verwandelt, sorgt bei manchem Anwohner für Unbehagen. Die Wildtiere drängen bis auf die Terrasse vor oder machen es sich im Gemüsebeet gemütlich. Marder bevölkern den Dachboden und verursachen bei den Bewohnern Lärmbelästigungen. Wildschweine pflügen die Kartoffeln aus dem Gartenbeet und lüften den Rasen.

Füttern wird schnell zum Problem
Vom Steinmarder zerfressenes Dachisoliermaterial.
Vom Steinmarder zerfressenes Dachisoliermaterial.

Der städtische Lebensraum beeinflusst das Tierwohl auf unterschiedliche Weise. Zum einen müssen Tierarten Belastungen durch Lärm, Schadstoffe sowie Gefahren durch Auto, Bus und Bahn widerstehen. Andererseits bietet die Stadt ein Schlaraffenland an Nahrung und geeigneten Verstecken. Umso problematischer erscheint das zusätzliche Füttern. Was bei Gartenvögeln oder Igeln noch unbedenklich ist, kann bei Füchsen, Wildschweinen, Gänsen oder Schwänen nach hinten losgehen. Denn Fütterung vermindert die Scheu gegenüber dem Menschen. Das kann Ängste auslösen, aber auch zu handfesten Konflikten ausarten, etwa wenn Füchse oder Sauen aktiv um Futter betteln, Personen angehen oder in Wohnungen eindringen. In welchem Ausmaß aktive Fütterung in unseren Städten praktiziert wird, darüber gibt es keine soliden Zahlen. Verursachen Wildtiere im Auge des Betrachters Konflikte oder wirtschaftliche Schäden, dann kann die bislang positive Einstellung schnell kippen. Einige knackige Beispiele: Marder ruinierten eine Dachisolierung, woraufhin die komplette Innenverkleidung erneuert wurde. Teilweise war der Urin in den Wänden bis in die Innenräume durchgesickert. Der Schaden belief sich auf 2500 Euro. Auf einem Münchner Firmengelände in der Nähe des Englischen Gartens waren in der Vergangenheit viele Kaninchen unterwegs und legten ihre Baue an. In den folgenden Jahren nutzte eine Fuchsfähe die Röhren als Setzbau. Die Baue befanden sich aber unter einer Feuerwehrzufahrt. Die Unterhöhlung führte dazu, dass die Traglast der Zufahrt nicht mehr gewährleistet war.

Ein Tiefbauunternehmen musste den Schaden für 15 000 Euro beheben. Ein Steinmarder war für den teuersten Ausfall durch das Verbeißen der Verkabelung in einem Kraftwerk verantwortlich. Es entstand ein betriebswirtschaftlicher Schaden von rund 20 000 Euro.

Fazit: Wildtiere in der Stadt sind heute eher die Regel

Das Vorkommen von Wildtieren in der Stadt ist heute eher die Regel als die Ausnahme. Meist sind Wildtiere gerngesehen, dennoch steigt das Konfliktpotential stetig. Es gibt aber viele offene Fragen. Die Aufklärung der Bürger ist daher oberstes Gebot. Denn Informationen können Konflikte abmildern. Die Eingriffe des Menschen sind immer dann legitim, wenn beispielsweise hochgradig an Räude erkrankte Füchse oder verletzte Tiere erlöst werden müssen, Wildtiere mit verminderter Scheu zu einer Gefahr werden oder hohe, wirtschaftliche Schäden drohen. Doch muss stets neben der Aufklärung eine Beratung mit professionellen Maßnahmen erfolgen. Diese muss auf die Situation vor Ort, den speziellen Konflikt und die jeweilige Tierart abgestimmt sein. In diese Presche springen in den größeren Städten oft sogenannte Stadtjäger, die sich gezielt um diese Problemfälle kümmern. Vielerorts fehlen noch die fachlichen Berater und Ansprechpartner für die Praxis. Daran müssen in Zukunft vor allem mittelgroße Städte, aber auch zahlreiche Metropolen fleißig arbeiten.

Wilddichten – Stadt-Land-Vergleich

Das Vorkommen von Wildtieren ist in unseren Städten heute Normalfall. Der Steinmarder ist wohl der häufigste Stadtbewohner. In der freien Landschaft leben ein bis drei Steinmarder, in der Stadt können bis zu acht Marder pro km² vorkommen. Mit 50 bis 60 Individuen pro km² ist der Waschbär der uneinholbare Spitzenreiter. Beim Fuchs nimmt die Dichte von Wald und Offenlandschaften mit ein bis zwei Füchsen über Dörfer und Kleinstädte (3 bis 5) bis in die Großstadt mit zehn bis 15 Individuen kontinuierlich zu. Generell ist es das gute Angebot an Nahrung und Versteckmöglichkeiten, das den Tieren optimalen Lebensraum bietet. Die Duldung durch den Menschen ist hoch, sie führen ein fast ungestörtes Leben. Ihr härtester Gegner ist der Straßenverkehr, denn eine Nachstellung findet selten statt. Fuchs, Wildschwein & Co. reagieren so mit weniger Scheu.

Hilfe aus Praxis und Wissenschaft

Uwe R. König

  • Inhaber der Jagdschule Isaria.
  • Spezialist für den Fang von Wildtieren im befriedeten Bezirk im Bereich der Landeshauptstadt München und im Landkreis München.
  • Beratung zum Thema Wildschadensverhütung.

Dr. Christof Janko

  • Wildbiologe
  • Spezialist für Wildtiere im urbanen Raum
  • Forschungsarbeiten, u.a. speziell zum Rotfuchs in der Stadt

Mehr Infos…
Die Autoren bieten Vorträge/ Seminare und praktische Hilfestellung rund um das Thema Wildtiere in der Stadt an. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an info@jagdschule-isaria.de