Jagdethik – Ein paar Gedanken zu Facebook-Jagdgruppen im Speziellen und zum Facebook-Brainwash im Allgemeinen.

Ulrich SchmidbauerZicken-Zirkus und Tussen-Talk:

Gedanken von Ulrich Schmidbauer

Ein Trend ist festzustellen, der Trend „Emotion“. Kennen wir ja schon von diversen TV-Formaten. Klar, bei Heidi Klums Zicken-Zirkus wundert es keinen, da erwartet man, dass Tränen fließen. Aber auch Bohlens erfolgreiches, privates Rentenmodell „DSDS“ hat inzwischen nahe am Wasser gebaut. Da heulen die Kerle mehr als die Mädchen! Jede Kritik aus des Meisters losem Mundwerk quittieren die metrosexuellen, vom Friseur wie Pudel getrimmten, von Kopf bis Fuß gepierct-tätowierten Bürschlein mit Rotz und Wasser! Daniel Küblböck, vor 12 Jahren noch das Synonym für ein verheultes Weichei, wirkt gegen die heutigen DSDS-Kandidaten wie der Türsteher einer „Hell’s Angels“-Kneipe.

Alles nur noch Emotion – oder besser: Befindlichkeit. Das ist „in“ und jeder Furz, den ein Ross auf der Weide lässt, verursacht „Gänsehaut-Feeling“. Der Anglizismus dabei ist fast so wichtig wie das permanente Bedienen dieser Beschreibung, ob es passt oder nicht!

Das Zentrum der kommentierten Befindlichkeit ist ohne Zweifel Facebook. Sozusagen das Allerheiligste der emotionalen Lebensäußerung! Wer da sich nicht alles tummelt, meist schön zusammengefasst nach Neigungen. Ja klar, auch Jäger gibt es in Facebook, Jungjäger zumeist. Jung, weil die Alten eher keine Zeit für soziales Netzwerken haben. Die müssen ihre Reviere bewirtschaften und sind dann abends müde. Na gut, ein paar Profistänkerer unter ihnen (wie z. B. der Verfasser dieser Zeilen) tummeln sich in Facebook. Aber die Mehrzahl ist jung und – im Vergleich zur Realwelt eher untypisch – eine überproportionale Anzahl ist weiblich.

Ohne mich nun dem Vorwurf des Chauvinismus aussetzen zu wollen, liegt aber der Schluss nahe, dass Emotionen bei den Facebook-Jägern eine große Rolle spielen, weil Frauen eben emotionaler sind und sich mehr dort tummeln. Wobei aber viele der männlichen Jäger scheinen, als seien sie irgendwie froh, endlich ein bisschen mitweinen zu dürfen. Dagegen kann man eigentlich nichts Generelles zu sagen, denn Gefühle sind schließlich nichts Ehrenrühriges. Zumindest echte Gefühle!

Wenn aber Emotionen zum Selbstzweck mutieren, dann muss man nachfragen dürfen. Wenn Emotionen Inhalt ersetzenden Charakter bekommen und es letztlich nicht einmal mehr um das Gefühl an sich, sondern nur noch um das Übermitteln desselben geht, gleichsam als Sublimation gegenseitiger Sympathiebekundungen – dann muss man darüber nachdenken. Hier zur Illustration ein prominentes Beispiel, das sich in zahlreichen Varianten fast täglich bietet:

Ein Jäger berichtet, wie er es schaffte, entgegen aller Lehrmeinung ein verwaistes Kitz von einer führenden Rehgeiß als zweites Kitz annehmen zu lassen. Er berichtet auch, dass ihn das sehr gerührt habe. Verständlich, das ja auch eine rührende Geschichte und durchaus erzählenswert. Und die Mitglieder der Gruppe? Was posten die? Bis auf einen oder zwei nicht ein Wort des Inhaltlichen, nicht eine jagdlich motivierte Frage, nichts was darauf schließen lassen könnte, dass man sich für das Handwerk Jagd interessierte.

Statt dessen rund 50 Mal „süüüß“ (drei „ü“ sind dabei wichtig!), zahlreiche „nette“ Smileys sowie sonstige „Emoticons“ und bei weit mehr als der Hälfte von Männern und Frauen (paritätisch verteilt) folgt eine Beschreibung ihres durch die Geschichte hervorgerufenen Tränenflusses. Ganz weit vorn in meiner persönlichen Wertung liegt in dieser Riege die metaphorische Beschreibung „da bekomm ich Augenpipi“! Welch ein Bild! Kurz, ein interessanter Thread verkam innerhalb von Sekundenbruchteilen zum albernen Tussen-Talk. Schade eigentlich.

Ein Beispiel für die emotionalisierte Facebook-Jägerschaft muss ich noch bemühen: die Trophäenfoto-Sucht! Sie zeigt sich darin, dass jedes Reh, jeder totgeschossene, abgekommene Knopfer so wie er zu Tode kam, im Grase liegend fotografiert und in Facebook veröffentlicht wird. Was habe ich mich schon gerieben an diesen Prahlhänsen und ihnen zugerufen, wenn sie schon ihre Geltungssucht nicht in den Griff bekämen, sollten sie doch wenigstens die Grundregeln des Waidwerks berücksichtigen: Den letzten Bissen gewähren, Ein- oder Ausschuss verblenden, das Stück auf seine rechte Seite legen. Diese Rufe verhallen vergeblich. Nach wie vor werden tote Rehwildkörper in einem Zustand präsentiert, der bestenfalls für forensische Pathologen und vielleicht noch den Wildgroßhändler interessant ist.

Und wieder: Sofort beginnt der Tussen-Talk; nicht die wichtigen Fragen, „wer, was, wie“ werden gestellt oder bedient, nein es wird zu jedem Schuss ein „sakrisches“ bzw. (weiter nördlich) „kräftiges“ Waidmannsheil gewünscht! Die Äußerung etwaiger jagdethischer Bedenken zu Selektion, Trefferlage oder Brauchtum findet nicht statt. Wieder versichert man sich ausschließlich gegenseitiger Sympathie durch kritikloses, verbales Schulterklopfen.

Bis … ja bis der eine kommt, der Stänkerer, und ganz vorsichtig anmerkt, dass es unter Umständen kein Ruhmesblatt ist, z. B. einen gut veranlagten Jährling weich zu schießen und das so getroffene Stück auch noch mit der Ausschussseite nach oben abzulichten anstatt … Ja anstatt den Finger gerade und den Jährling einfach laufen zu lassen (doch, das geht – ehrlich!). Ein Stänkerer, der vielleicht noch klugscheißt und etwas von selektiver Jagd erzählt. Uh!

Da geht es aber los, da kocht der Volkszorn! Die Tussen-Talker können nämlich auch ganz andere Seiten aufziehen und demaskieren den Nestbeschmutzer: „Das ist ja nur der Neid!“ lautet das fundierte, argumentativ nicht zu schlagende und den Bösewicht vernichtende Urteil. Boom! Erledigt! Der Threadstarter übrigens zieht sich beleidigt zurück und meist löscht er seinen Thread dann. Ist vielleicht auch besser so.

Also, Emotionen über Emotionen! Nun bin ich von einer Generation erzogen worden, die nach dem Krieg den Schlamassel aufräumen musste, dass ihnen die Nazis und die Alliierten hinterlassen hatten. Die Generation meiner Eltern war deshalb ziemlich hart. Bestimmt nicht lieblos, aber eben hart: gegen sich selbst, gegen emotionalen Kontrollverlust, gegen überflüssiges Geschwätz. So eine Erziehung prägt einen. Man lernt, sich zu beherrschen, lernt dass nicht jede Befindlichkeit gleich großen Bahnhof braucht und nicht alles, was einen zwackt, gleich mit lautem Palaver kommentiert werden muss. Man lernt, dass es um Inhalte geht und nicht um Form, dass man einen Menschen an seinen Taten, nicht an seinen Worten messen sollte und dass eine raue Schale mit weichem Kern besser ist als umgekehrt.

Das alles scheint aber nicht mehr so gefragt zu sein, ich weiß. Passt nicht mehr in eine Welt, in der faschistoide Gutmenschenorganisationen genau diesen emotionalen Kontrollverlust nutzen, um hemmungslos Macht an sich zu reißen oder Geld scheffeln. Aber von der Seele schreiben musste ich es mir doch. Auch wenn mich jetzt viele hassen werden.

P.S.: Selbst ich, der Lästerer, erliege manchmal dem Facebook Brainwash und sülze vor mich hin. Auch ich habe schon sinnfreie Bilder vom Ansitz gepostet, weil ich meinte, den Moment mit allen teilen zu müssen. Was für ein Irrtum! Ich teile damit gar nichts, löse nur Tussen-Talk aus und nehme mir selbst die Zeit weg, die ich mit einem Blick in die Natur viel sinnvoller genutzt hätte!